Interview mit Carmen Walker Späh – Regierungspräsidentin und Vorsteherin der Volkswirtschafsdirektion des Kantons Zürich

Interview mit Carmen Walker Späh – Regierungspräsidentin und Vorsteherin der Volkswirtschafsdirektion des Kantons Zürich

“Eine zielstrebige Kämpferin“

“Eine lösungsorientierte und tatkräftige Frau“

So kennt man die Regierungspräsidentin und Vorsteherin der Vokswirtschafsdirektion des Kantons Zürich Carmen Walker Späh  (https://www.carmen-walkerspaeh.ch).  Sie kennt man aber auch als eine mutige Politikerin, die sich nicht scheut, auch mal unpopuläre Aussagen zu machen, und Ihre Meinung offen kundzutun. Sie hatte schon als junges Mädchen eine rebellische Ader und konnte recht widerständisch sein.

Ich habe Carmen Walker Späh zu einem Interview über Mut in ihrem Büro in Zürich getroffen. Ich freue mich sehr, dieses Interview mit Ihnen zu teilen.

Das Interview wurde vor der Corona-Pandemie geführt. Die aktuelle Krise wurde im Gespräch dementsprechend noch nicht thematisiert. 

Wie würden Sie Menschen, die Sie gut kennen, mit wenigen Worten beschreiben?

Man würde mich als zielstrebige, lösungsorientierte, engagierte, mutige, aber auch fröhliche Frau beschreiben. Aufgrund meiner Herkunft kennzeichnet mich wohl auch mein ausgeprägter „Ürner Grind“: Sich durchsetzen und wo nötig Widerstand leisten, oder halt auch ‚de Grind’ anschlagen – wie man das im Kanton Uri so schön sagt. Eine Zeitung hat einmal über mich geschrieben, ich sei eine „Stehauffrau mit Stehauffrisur“.

Was ist Mut für Sie?

Mut ist für mich Zivilcourage. Es geht darum, zur eigenen Meinung zu stehen und sich für etwas einzusetzen, auch wenn man mit Gegenwind konfrontiert ist. Es ist einfach, den Leuten nach dem Mund zu reden. Aber es braucht Zivilcourage, das zu erzählen, was die Leute nicht hören wollen.

Dazu gehört aber auch, Niederlagen einstecken zu können. Der Erfolg tritt nicht sofort ein und manchmal gar nie. Aus Rückschlägen sollte man lernen und an ihnen wachsen. Hierzu möchte ich Nelson Mandela zitieren: “Unser grösster Ruhm ist nicht, niemals zu fallen, sondern jedes Mal wieder aufzustehen.“

Sie sind dafür bekannt, den Mut zu haben, auch unpopuläre Aussagen zu machen und Ihre Meinung offen kundzutun. Ist das Ihr Charakterzug oder haben Sie sich diese Fähigkeit über die Jahre hinweg erarbeitet?

Ich hatte schon als junges Mädchen eine rebellische Ader und konnte recht widerständisch sein. Später haben mich sicher mein Beruf, u.a. als selbstständige Rechtsanwältin, meine Mutterschaft von drei Söhnen und die Politik geprägt.

Auch mutig sein braucht ständiges Training; wie mit den Muskeln, die man trainiert, damit sie stärker werden. Das kann am Anfang anstrengend sein oder sogar ein bisschen wehtun, aber es lohnt sich.

Auch wenn ich wohl von klein auf ein mutiges, rebellisches „Urwesen“ in mir trage, habe ich mich im Laufe der Jahre aber sicher verändert.

Haben Sie ein Vorbild? Eine Person, die Sie auf Ihrem Weg begleitet, inspiriert und ermutigt?

Ich habe keine Vorbilder, weil ich nicht daran glaube, dass man Personen nachmachen kann. Denn jeder Mensch ist individuell. Aber natürlich gibt es mutige Menschen, die ich bewundere und die mich inspirieren. Menschen, die für ihre Überzeugungen leben und sehr viel dafür einstecken müssen, und die im schlimmsten Fall für ihre Überzeugung sogar mit dem Leben zahlen. Nelson Mandela, der für seine Überzeugungen jahrzehntelang im Gefängnis gesessen ist, habe ich ja vorhin zitiert. Viele meiner Inspirationen sind aber keine Berühmtheiten, sondern Frauen und Männer, die jeden Tag ganz unbeachtet mutig sind. Personen, die unermüdlich auf etwas hinarbeiten – sei es ein politisches Ziel, im Beruf oder für unsere Gesellschaft – ohne dafür jemals Applaus zu erhalten. Diese stillen Kämpferinnen und Kämpfer verdienen aus meiner Sicht den allergrössten Respekt.

Es gibt viele Menschen, die sich grundsätzlich als mutig oder eben nicht mutig bezeichnen. Was halten Sie davon?

Die Menschen auf unserem Globus sind naturgemäss mit unterschiedlichen Situationen konfrontiert, leben unter unterschiedlichen Umständen und an unterschiedlichen Orten. Ich würde deshalb nie über ihre Zivilcourage urteilen wollen. In einem anderen Umfeld oder unter anderen Voraussetzungen wäre ich vielleicht keine mutige Frau.

Ich finde, dass man Menschen, die mutig für etwas einstehen, grundsätzlich mit Respekt entgegentreten sollte.

Gerade im politischen Alltag erlebe ich oft, dass Menschen mit abweichenden Meinungen persönlich angegriffen werden. Ich wünsche mir, dass wir alle respektvoll miteinander umgehen. Ich denke, das ist gerade in Zeiten von Social Media extrem wichtig.

Speziell möchte ich in diesem Zusammenhang auch Frauen erwähnen: Unsere Gesellschaft drängt Frauen und Mädchen häufig in die Rolle der anpassungsfähigen, umgänglichen „Vermittlerinnen“. Frauen hingegen, die durchsetzungsfähig, risikobereit und schlagfertig sind, irritieren. Sie entsprechen nicht dem klassischen Rollenbild und müssen dafür viel einstecken.

Frauen und Männer sollten noch mehr ermutigt werden, aus ihren verstaubten Rollenbildern auszubrechen und sich in eine aktivere Rolle zu begeben, gerade Frauen sind da gefordert.

Das geht allerdings nicht ohne weibliche Vorbilder, die zeigen, wie Zivilcourage gelebt werden kann. Wir müssen lernen, dass ein gesundes Selbstvertrauen nichts mit Arroganz zu tun hat. Männer und Frauen sollen miteinander debattieren und auch politisch streiten – aber immer auf Augenhöhe.

Denken Sie, dass man Frauen heutzutage immer noch stark motivieren muss, um mutig zu sein im Beruf?

Ich denke schon, dass man Frauen auch heute noch mehr „motivieren“ muss. Gerade in der Politik erlebe ich es häufig, dass sich Frauen vom aktuell doch eher rauen Klima abschrecken lassen.

Klar, wir Frauen haben viel erreicht, und es hat immer mehr Frauen in den Parlamenten und in anderen politischen Ämtern. Aber immer mehr ist eben nicht genug. Unsere Gesellschaft ist noch lange nicht am Ziel. Solange wir in der Schweiz noch keine faktische Gleichstellung haben, gibt es Handlungsbedarf.

So ist beispielsweise die Vereinbarkeit von Beruf und Familie heute noch zum grössten Teil Sache der Frauen. Hier muss ein Umdenken stattfinden! Deshalb braucht es mehr attraktive, verantwortungsvolle Teilzeit-Jobs – eine Reduktion des Pensums darf weder ein Karrierekiller sein noch in eine versteckte Armutsfalle führen. Es braucht aber auch externe Betreuungsangebote, und es braucht flexible Arbeitszeitmodelle. Und zwar das alles für Frauen und Männer. Wenn geeignete Strukturen fehlen, ist Mut letztendlich immer auch eine Frage der Möglichkeiten.

Sie reden in Ihren Referaten, sei es über die Digitalisierung oder die neue Arbeitswelt oft von Mut: «packen wir Digitalisierung mit Zuversicht und Mut an». Was meinen Sie damit? Was bedeutet in diesem Zusammenhang Mut für Sie?

Generell versuche ich in meiner Rolle als Volkswirtschaftsdirektorin, den Menschen die Angst vor der Digitalisierung zu nehmen. Meiner Meinung nach werden teilweise etwas gar düstere Zukunftsszenarien gezeichnet. Selbstverständlich gibt es Risiken und offene Fragen. Ich bin aber überzeugt, dass wir diese tatkräftig anpacken und bewältigen können, wenn wir denn auch wollen. Wenn wir mutig sind für ihre Nutzung, dann bringen technische Neuerungen im Endeffekt klaren Mehrwert.

Die Geschichte der Menschheit zeigt, dass auch unsere Vorfahren mit grossen Herausforderungen konfrontiert waren. Heute haben wir einen grossen Wohlstand und eine hohe soziale Sicherheit.

Ich bin der Meinung, dass alles Neue auch eine Chance sein kann. Wenn man diese Chancen sieht, kann man die Zukunft aktiv mitgestalten, statt sie passiv auf sich zukommen zu lassen. Es braucht mutige, visionäre und engagierte Menschen, die bereit sind, die Weichen für die Zukunft zu stellen.

Ohne Mut und Pioniergeist wäre die Schweiz heute nicht so erfolgreich. Ein gutes Beispiel dafür ist Alfred Escher. Er hat mit der Gotthardbahn Zürich ans internationale Eisenbahnnetz angeschlossen. Und er hat die ETH, die Credit Suisse und die Rückversicherung, die heutige Swiss Re, mitbegründet. Mit seinem Engagement und seiner Zivilcourage hat er mehrere zentrale Pfeiler für den Erfolg des Wirtschaftsstandorts Zürich gesetzt.

Denken Sie, dass Zukunftsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt der digitalen Welt heute mehr Mut braucht als früher? Wenn ja, könnten Sie ein Beispiel nennen? Was raten Sie den Arbeitgebern und Arbeitnehmenden? Sie haben ja vorher dazu Bezug genommen, aber ich möchte gerne hier den Fokus auf den Arbeitsmarkt lenken.

Unsere Welt wird immer schnelllebiger und dynamischer. Wer früher eine bestimmte Lehre gemacht oder eine Ausbildung absolviert hat, ist in der Regel in diesem Beruf geblieben und hat sich nur punktuell weitergebildet. Das ist heute nicht mehr so.

Wer nachhaltig erfolgreich sein will, muss immer weiter lernen und sich weiterentwickeln.

Die Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt wandeln sich laufend. Mit diesem Tempo umzugehen, ist meiner Meinung nach eine der grössten Herausforderung unserer Zeit. Und diese ist sicher auch eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung, die sich Arbeitgebende und Arbeitnehmende teilen.

Was sollen denn Arbeitgeber und Arbeitnehmende anders machen? Sollen sie denn jetzt mutiger sein als auch schon?

Das Wichtigste ist aus meiner Sicht, dass wir die Freude am Neuen nicht verlieren. Wir alle müssen den Mut und den Elan haben, uns immer wieder motiviert in neue Aufgaben und Themen reinzuknien – auch wenn sie einen Zusatzaufwand mit sich bringen.

Die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sind angehalten, ihre Arbeitnehmenden permanent weiterzubilden. Die Arbeitnehmenden sind gefordert, diese Gelegenheiten auch zu nutzen.

Was beobachten Sie in der Startup-Szene in der Schweiz? Ist diese mutig genug aus Ihrer Sicht? Inwiefern könnten die Startup-Unternehmer mutiger sein?

Ganz generell begeistern mich der Mut und die Innovationskraft unserer Startups.

Gerade der Kanton Zürich hat eine hervorragende Startup-Szene. Wo mir der Mut aber teilweise fehlt, ist bei der Folgefinanzierung. Ich bedaure es immer sehr, wenn ich sehe, dass ein spannendes Unternehmen in der Schweiz gegründet wird, Erfolg hat und dann ein attraktiveres Angebot aus dem Ausland erhält. Am Ende wird ein Produkt oder eine Dienstleistung zwar in der Schweiz erfunden, aber die Weiterentwicklung zur Marktfähigkeit geschieht in den USA oder in China. Ich wünsche mir mehr Mut von Schweizer Investorinnen und Investoren.

Haben Sie eine eigene Zukunftsvision? Wenn ja, werden Sie viel Mut brauchen, um diese auch realisieren zu können?

Ich wünsche mir weiterhin einen attraktiven, wettbewerbsfähigen und lebenswerten Kanton Zürich. Damit wir unsere gute Position im nationalen und internationalen Wettbewerb halten können, braucht es weitsichtige Entscheide. Nicht nur von den Unternehmerinnen und Unternehmern, sondern auch aus der Politik und der Verwaltung. Heute haben wir im Kanton Zürich gute, wirtschaftsfreundliche Rahmenbedingungen. Diese sollten wir nicht durch Überregulierung gefährden, sondern mit unternehmerischer Freiheit erhalten.

Auf der der anderen Seite braucht unser Kanton auch leistungsfähige Infrastrukturen für die Mobilität. Unsere Schweiz wächst, unser Kanton Zürich wächst. Wir haben immer mehr Menschen, die auf eine gute Erschliessung ihrer Wohn- und Arbeitsorte angewiesen sind. Leistungsfähige Verkehrsinfrastrukturen sind zentral für den Wohlstand einer Volkswirtschaft. Wir müssen deshalb rechtzeitig in die geeignete Infrastruktur investieren. Dafür setze ich mich als Volkswirtschaftsdirektorin ein!

Mein Credo: mutig vorwärts zu machen, statt einfach zu lamentieren.

Die Menschen werden auch in Zukunft mobil sein wollen. Daran hat sich mit der Digitalisierung überhaupt nichts geändert. Obwohl wir heute permanent digitale Sitzungen durchführen könnten, wollen sich die Menschen immer noch treffen, sich bei heiklen Gesprächen „live“ sehen. Natürlich wird sich die Art unserer Mobilität noch rasant wandeln. Wer weiss, ob wir in 20 Jahren mit Drohnen unterwegs sind oder uns mit autonomen Wasserstoffautos fortbewegen? Auch vor dem Hintergrund der Klimadebatte und der Digitalisierung müssen wir nach vorne schauen und die neuen technologischen Chancen auch nutzen. Ich glaube an die Kompetenz unserer Hochschulen, unserer Wirtschaft, unserer Verwaltung, dass sie unsere Gesellschaft vorwärts bringen. Dazu gehört auch eine breite gesellschaftliche Debatte über Chancen und Risiken von digitaler Innovation. Das Gute: In unserem Land hat immer das Volk das letzte Wort.

Mut hat so viel verschiedene Facetten, ist eine kostbare Ressource und kann zu unserm Vorankommen und zu unserer Zukunftsfähigkeit grosses beitragen.

Lassen Sie sich inspirieren. Was bedeutet Mut für Sie?

Welche Art von Mut würde Sie in Ihrem Berufsleben und in Ihrer Karriere weiterbringen?

Mit takethecourage.com werden wir gemeinsam mutiger.

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